Wie wir die Problempunkte des US Inflation Reduction Act neutralisieren und seine Chancen für die EU-Wirtschaft nutzen können

Angesichts wachsender Investitionslücken schielen weite Teile der Politik schon auf ein nächstes breites Konjunkturpaket, trotz Inflationsdruck und hoher öffentlicher Verschuldung. Aber ich fürchte, das wäre falsch.

Es würde nur die Europäische Zentralbank zwingen, die Zinsen noch schneller und stärker zu erhöhen. Was wir stattdessen brauchen, ist gezielte Förderung – Investitionen in grüne Branchen, die unsere Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit stärken. Die nötigen Mittel dafür müssen wir rasch und EU-weit mobilisieren, mit dem erklärten Ziel, private Investitionen anzuschieben.

Der US Inflation Reduction Act macht Europa reichlich nervös. Aber bei aller Sorge ist das Gesetz im Grunde ein Schritt in die richtige Richtung. Es bringt einen massiven Schub für grüne Sektoren, in die dringend mehr investiert werden muss. Und es zeigt auch, dass die Vereinigten Staaten und Europa endlich auf einer Linie sind, was die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft betrifft. Die USA wollen die erneuerbaren Energien ausbauen und ihren Worten Taten folgen lassen. Das sollten wir doch begrüßen!



Der Inflation Reduction Act soll eine moderne, emissionsarme Infrastruktur anschieben. Das ist für die europäische Wirtschaft an sich kein Problem. Im Gegenteil: In Sektoren wie der Windkraft, wo Europa zu den Technologieführern zählt, ist eine höhere Nachfrage eine gute Sache. Die US-Subventionen sind nicht nur gut für das Klima, sondern bieten auch neue Geschäftschancen für europäische Firmen.

Risiken für die europäische Wirtschaft

Einen Haken hat die Sache allerdings doch: Der Inflation Reduction Act sieht zwar großzügige Hilfen für Solaranlagen, Windparks, Energiespeicher und Anlagen für sauberen Wasserstoff vor, aber größtenteils nur für Produkte „made in America“. Das schließt europäische Firmen aus – und sie erhalten von der EU nicht die gleichen Subventionen.

Damit wächst die Gefahr, dass Anlagenbauer und Wasserstoffproduzenten ihre Zelte bei uns abbrechen und in die USA abwandern. Das würden den ohnehin schon unterfinanzierten Innovationssektor der EU noch mehr in Bedrängnis bringen. Gerade jetzt, wo wir die noch zarte Lieferkette für Greentech stärken müssen, könnten einige Klauseln des Gesetzes sie zerreißen – zum Vorteil von Amerika und auf Kosten Europas.

Europas Wirtschaftsinteressen

Wir müssen deshalb die Gesprächskanäle mit unseren amerikanischen Partnern offenhalten und unsere eigenen Investitionen in die richtigen Sektoren lenken. Dann kann Europa die Problempunkte des neuen Gesetzes neutralisieren und seine Chancen nutzen. Der Dialog ist wichtig, weil wir die USA dazu bringen müssen, dass sie einige Klauseln überarbeiten, vor allem jene, die gegen die Grundsätze des offenen und fairen Wettbewerbs verstoßen.

In den Gesprächen sollten wir uns aber nicht als Opfer darstellen. Europa muss sich ehrlich machen: Viele unserer derzeitigen Investitionslücken haben mit dem neuen US-Gesetz gar nichts zu tun. Über die letzten zehn Jahre hat Europa jährlich zwei Prozent weniger in Produktivitätsverbesserungen investiert als seine Wettbewerber. Der Inflation Reduction Act sollte ein Weckruf sein, hier gegenzusteuern. Wir müssen dringend mehr Geld in saubere Energie, Cleantech und Digitalisierung lenken – alles Dinge, die wir für die grüne Wende und unsere künftige Wettbewerbsfähigkeit brauchen.

Starke Signale an die europäische Wirtschaft

Das mag nach einer Mammutaufgabe klingen, aber größtenteils haben wir schon das nötige Werkzeug dafür. Die EIB-Gruppe bietet passende Lösungen zur Risikoteilung und langfristigen Finanzierung. Damit machen wir gute Innovationen auch privaten Investoren schmackhaft. Dass wir privates Kapital einbinden, hat schon große Durchbrüche möglich gemacht – in der Biotechnologie, im Energiesektor, in der Quanteninformatik und der Satellitentechnik.

Wir können ein starkes Signal an den Markt senden, dass die Länder und Institutionen der EU gewillt sind, Spitzentechnologien schon in frühen Entwicklungsstadien mit Fremd- und Eigenkapital zu fördern. Zusammen mit der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten können wir einen neuen paneuropäischen Eigenkapitalfonds einrichten – für große Vorhaben, die für die Netto-Null-Wirtschaft strategisch wichtig sind. Wir sind bereit, uns an die Arbeit zu machen!

Wie Europas Wirtschaft groß rauskommt

Manche mag verwundern, dass wir den Blick auf große Vorhaben richten. Fangen Start-ups nicht eher klein an, in der heimischen Garage? Nicht unbedingt. Bei den technischen Innovationen sehen wir immer mehr Großprojekte. Northvolt ist so ein Beispiel, mit seiner Gigafabrik in Nordschweden. Das ist ein Start-up, aber es bräuchte wohl tausend Garagen.

Projekte dieser Größe sind genau das, was Europa braucht. Aber sie erfordern Vorab-Investitionen von mehreren Milliarden Euro, typischerweise als Eigenkapital oder als Finanzierung, die Eigenkapital ähnelt. Ein EU-Eigenkapitalfonds könnte also wirklich helfen, mehr Spitzentechnologien hervorzubringen. Die Investitionen, über die ich spreche, sind gewaltig, aber sie wären auch sehr zielgenau.

Der Charme liegt darin, dass es ein EU-weiter Ansatz ist. Er würde fairere Bedingungen für alle EU-Länder schaffen und damit eine unserer größten Errungenschaften schützen: den Binnenmarkt. Er würde uns auch helfen, globale Aufgaben anzupacken, ohne unsere Werte beiseitezuschieben. Letztendlich wäre er eine Antwort auf den Inflation Reduction Act und die breiteren geopolitischen Herausforderungen, vor denen Europa steht.



Dieser Artikel wurde zuerst von Project Syndicate veröffentlicht.